Max Haarich ist Konzeptkünstler, 37, wohnt in München und befasst sich mit neuen Technologien. Manchmal benötigt es fast ein Doppelstudium in Kybernetik und Paradoxie, um den NFT-Markt zu verstehen. Eine Erklärung.
Du beschäftigst dich schon länger mit Kunst und Künstlicher Intelligenz. Wann hast du das 1. Mal von NFT-Kunst gehört oder gelesen?
Das erste Mal habe ich mich im Herbst 2019 intensiver damit beschäftigt. Ich habe damals im Münchner Kreativquartier eine Veranstaltung organisiert, zu der ich u.a. Gleb Divov, den Gründer des baltischen CryptoArt Hubs Digital//Kalnas, eingeladen habe. Ein Jahr später ging dann die Debatte um das Metaversum los. Hier wurde mir bewusst, wie bedeutsam NFT für Menschen sein wird, die sich in einer vollkommen digitalen Welt heimisch fühlen wollen. Die Corona-Schutzmaßnahmen sorgten dann dafür, dass gesamtgesellschaftlich der Bedarf nach technischen Lösungen für ein zunehmend digitalisiertes Leben anstieg.
Gibt es Kunstwerke oder Projekte auf den NFT-Marketplaces, die du toll findest?
Zum einen finde ich in der bisher existierenden NFT-Kunst alles faszinierend, was die neuen technischen Möglichkeiten der Blockchain bzw. von Smart Contracting ausreizt. Hashmasks deuten dies schon an, weil sie der BesitzerIn eine technische Möglichkeit zur Mitgestaltung bieten. In dem Fall kann der Name des Kunstwerks geändert werden. Aber das ist wirklich nur der Anfang. Über Async oder Chainlink Oracles lassen sich dynamische NFTs und Multilayer-NFTs erstellen. Mehrere Leute können einzelne Layer besitzen und in Echtzeit mit eigenen Daten manipulieren. Damit kann man Bilder erstellen, die jeden Tag anders aussehen, aber auch zum Beispiel innovative Infografiken, die aus aktuellen Finanzdaten gespeist sind. Man könnte in einem kleinen Bild zusammenfassen, was Börsenhändler*innen aktuell noch aus mehreren Quadratmetern “Chart-Collage” zusammensuchen. Selbst das wäre aber immer noch eine alberne Kinderspielerei im Vergleich zu dem, was mit Smart Contracting in Zukunft technisch möglich sein wird.
Zum anderen begeistert mich alles, was die soziale und konzeptuelle Ebene der NFT-Technologie thematisiert. Diese neuen Versprechen digitaler Einzigartigkeit und Autorenschaft werden regelmäßig ad absurdum geführt. In dieser Woche hat Elon Musk ein Musikstück über NFTs als NFT verkauft. Ein wachsamer Follower hat sofort einen Screenshot dieses NFTs über NFTs als NFT eingestellt und über 100’000 US$ geboten bekommen. Sofort wurden auch neue NFTs über dieses NFT erstellt. Um da folgen zu können braucht man fast ein Doppelstudium in Kybernetik und Paradoxie.
Bist du auch Besitzer von NFT-Kunst?
Der Markt wird gerade überschwemmt von Leuten, die eins zu eins ihre bisherige digitale Kunst als NFT verkaufen. Diese Verkäufe profitieren vom Reiz der Neuheit, der aber langsam verschwinden wird. Wenn mir da ein Bild gefällt, würde ich mir eher ganz “old school” einen Druck davon kaufen. Auch aus Investment-Sicht fände ich die ungeeignet, weil es davon einfach zu viel gibt. Ausnahme sind da höchstens die bekanntesten Werke wie Cryptopunks oder Arbeiten von Beeple, aber die kann ich mir einfach nicht leisten.
Ich “besitze” einige sehr wenige NFT-Werke von KünstlerInnen aus der deutschen NFT-Community, die ich aber nicht gekauft habe, sondern gegen eigene Arbeiten getauscht habe. Deutschland existiert noch gar nicht auf der NFT-Weltkarte, aber es gibt eine rasch wachsende produktive Community, die sehr kreativ an das Thema NFT herangeht. Die oben beschriebenen paradoxen Rückkopplungen sind oft Thema solcher Arbeiten. Ich besitze zum Beispiel in 3D angelegte Blätter des Baumes, der sich selbst besitzt. Den gibt es wirklich und der steht in Georgia, USA. Diese Arbeit spielt mit der bisherigen Vorstellung des Copyright: NFTs sollten ja das Copyright im digitalen Raum durchsetzen. Defacto geschieht das Gegenteil: NFTs hebeln das Copyright im analogen Raum aus. Eine Foto von Rembrandts Nachtwache wurde als NFT verkauft und niemand weiß, wie man damit umgehen soll. Wie will man dann mit einem Copyright umgehen, dass nicht einem niederländischen Museum, sondern einem Baum gehört?
Ich hoffe, dass solche Arbeiten eine grundsätzliche Debatte über Eigentum und künstliche Verknappung in unserer Gesellschaft auslöst. Das schlauste, was wir Menschen erfunden haben, ist nicht das Besitzen, sondern das Teilen.
Was hältst du vom derzeitigen Boom von NFT-Kunst?
Das war nur ein kleiner Vorgeschmack. Aktuell ist der NFT-Markt vor allem eine Spielwiese für elitäre Spekulanten. Der richtige Boom kommt erst dann, wenn der Zugang zu NFTs technisch vereinfacht wird und die praktischen Anwendungen von NFTs wieder in den Vordergrund rücken. Viele verstehen NFTs als reinen Kunsttrend. NFT-Technologie ist aber überall wertvoll, wo schnell und sicher digitale Güter gehandelt werden. Bei Online-Games werden Items wie zum Beispiel Ausrüstung für Spielcharaktere schon lange als NFTs gehandelt und Musiker verstehen auch langsam, dass sie mit NFT eine ausbeuterische Plattenfirma umgehen können.
Wenn man sich alleine aus Naked-Forex-Perspektive die Marktentwicklung anschaut, dann stehen wir gerade am Beginn des ersten Preisausschlags. Der vorläufige Höhepunkt kommt aus meiner Sicht erst dann, wenn die Mainstream-Medien das Thema ernsthaft aufgreifen. Und damit meine ich nicht die Berichterstattung auf dem Level: “Schaut mal, da bezahlt einer 69 Millionen für eine Datei. Na das ist ja verrückt.”
Ich glaube nicht, dass so schnell noch einmal ein Werk wie das von Beeple so teuer verkauft wird. Die Preise entwickeln sich vermutlich wie bei KI-Kunst: Das erste versteigerte KI-Kunstwerk “Portrait of Edmond Belamy” brachte ca. 400’000 €, das zweite Werk von Mario Klingemann (Memories of Passersby I) “nur” ein Zehntel davon. Aber insgesamt werden nun viel mehr Leute in viel mehr NFTs investieren, sodass der Markt bei sinkenden Spitzenpreisen insgesamt rasant wachsen wird. Sobald dann jede Kunstsammlung um eine Repertoire an NFTs erweitert wurde, wird der Markt sich etwas beruhigen, bis dann der richtige Boom los geht, der nicht durch den Reiz des Neuen sondern durch durch den praktischen Nutzen und Wert dieser Technologie getragen wird.
In einem Blogbeitrag schreibst du, du machst “konzeptuelle NFT-Kunst über NFT-Kunst”. In diesem Fall hat die Idee mehr Gewicht und das eigentliche Werk ist von untergeordneter Bedeutung. Denkst du, dass du mit Konzeptkunst in der doch sehr visuell geprägten “NFT-Szene” erfolgreich sein kannst? Oder was ist dein Ansporn für deine NFT-Projekte?
Über meine höchst-bescheidenen Einnahmen aus konzeptueller NFT-Kunst freue ich mich sehr. Aber wenn es mein Ziel wäre, durch den Verkauf von NFTs schnell reich zu werden, hätte ich ebenfalls die Cryptopunks, -kitties, -cats und -kongz und wie sie alle heißen imitiert, zum Beispiel mit einer tollen Kollektion an Cryptomustaches in unterschiedlich seltenen Variationen.
Gedacht gemacht {
Ich bin überzeugt, dass das Konzeptuelle dem Visuellen immer überlegen sein wird. Die größte Summen werden nie für Schönheit, sondern immer nur für Bedeutung bezahlt. Salvator Mundi oder die Mona Lisa sind nicht notwendig die schönsten Portraits der Welt, aber es sind die bedeutendsten. Nur deswegen sind sie unbegreiflich viel Geld wert. Duchamps hat ein Urinal umgedreht und signiert, Malewicz hat statt Portraits einfach ein schwarzes Quadrat gemalt. In ihrer Zeit wurden diese Werke als Angriff auf die Kunst verachtet. Heute werden sie als Weiterentwicklung der Kunst verstanden und sind unbezahlbar. Mein Anspruch ist es explizit nicht unbezahlbare NFT-Kunst zu verkaufen - meine Single-Pixels verkaufe ich teilweise für weniger als einen Dollar -, aber ich hoffe einen Beitrag dazu leisten zu können, dass sich die NFT-Kunst aus Ihrer lähmenden visuellen Selbstgefälligkeit befreit und endlich das leistet, wozu sie technisch und konzeptuell im Stande ist.
Du bist Botschafter der Republik Užupis. Die Republik hat auch eine Verfassung, welche jetzt in digitaler Form auf OpenSea zu kaufen ist, mit dem Startpreis von 3,141,592,653,589.7932 Ethereum Coins (ETH)! Die Verfassung wurde ergänzt mit dem Buchstaben Pi und dem Satz “Jede künstliche Intelligenz hat das Recht, an das Gute im Menschen zu glauben.” Ist dieser Satz mit einem Augenzwinkern zu verstehen?
Die Auktion mit dem buchstäblich un-bezahlbaren Preis mag man mit einem Augenzwinkern betrachten, aber der Satz in der Verfassung ist sehr ernst gemeint. Der entstand vor bald drei Jahren, als die ethische Debatte um KI noch geprägt war durch Angst vor bösen Algorithmen. Gleichzeitig hoffte man, diesen Bösewichten endlich ethische Regeln fest einprogrammieren zu können, damit sie nur noch Gutes tun. KI-Algorithmen lernen aber durch Beobachtung. Sie beobachten, was wir essen, wie wir Partner*innen auswählen und wie wir mit der Natur umgehen. Es macht also keinen Sinn, dass Menschen bloß auf vorbildlich handelnde Algorithmen hoffen. Vielmehr sollten wir – oder eben der Algorithmus - auf vorbildlich handelnde Menschen hoffen. Ganz im Sinne von Užupis fordert der Artikel diese Rückkehr zur Eigenverantwortung. Dieses Umdenken scheint sich allmählich durchzusetzen und am 9.6.2021 wird der Artikel im Rahmen der GLOBART Konferenz im Wiener Parlament vorgestellt als Inspiration zur Überarbeitung der Österreichischen Verfassung.
Inwiefern beeinflusst dich das Geschehen auf den NFT-Plattformen auf dein zukünftiges künstlerisches Schaffen?
NFT ist für mich das perfekte Medium, um meine bisherigen Aktivitäten zusammenzubringen. Ich bin als Botschafter von Užupis angetreten, um Kunst und Technologie zu verbinden - genau das leistet NFT. Ich habe das Institut für Angewandte Paradoxie gegründet, um widersprüchliches und selbstreferenzielles Denken zu erkunden - genau das bewirkt NFT-Kunst. Ich werde weiterhin analoge Malerei, realen Performances und politischen Interventionen machen, und mit NFT habe ich nun ein weiteres sehr wertvolles Werkzeug im Repertoire.
Was siehst du die Entwicklung der NFT-Plattformen und der NFT-Werke?
Gerade im Lockdown, wo KünstlerInnen fast jeglicher Ausstellungs- und Absatzmöglichkeiten beraubt sind, wollen sie natürlich ihr Glück mit NFTs versuchen. Die dafür notwendigen Dateien haben sie ja meistens schon. Viele Plattformen reagieren auf diesen plötzlichen Ansturm mit elitärer Abschottung, um das Angebot zu verknappen und die Preise zu steigern. Das finde ich einfach ekelhaft. Dafür wurde Blockchain nicht erfunden. Blockchain ist die dezentralisierte Macht des Volkes. Blockchain macht gerade Plattenfirmen und Banken obsolet und die Berufspolitiker werden auch schon nervös. Wer auf der Blockchain Profite durch Monopolisierung erwirtschaftet, wird (hoffentlich) langfristig untergehen.
Was die Kunst angeht, sehe ich in der Zukunft eine Verschmelzung von Ästhetik und Aktivismus. Wer auf pancakeswap seine süßen NFTs in Sirup tunkt trägt damit zur Dezentralisierung der Finanzwirtschaft bei. Das geniale an NFTs ist nicht die Möglichkeit etwas digital zu besitzen, sondern die Kraft etwas digital zu bewirken durch Smart Contracting. Ich habe 2019 den Occupy-Wallstreet-Mitgründer Micah White in New York getroffen. Er macht aus meiner Sicht absolut geniale Sachen, um Smart Contracting für die Stärkung der Rechte von Minderheiten und für den Umweltschutz einzusetzen. Das ist die Zukunft von NFT.
Was sind deine Zukunftspläne?
Ich möchte weiterhin Kunst machen, die etablierte Denkmuster aufbricht und undenkbare Lösungen erreichbar macht. Aber ganz aktuell möchte ich wie so viele andere erkunden, welche Möglichkeiten NFT bzw. Smart Contracting dabei bietet.
Welche Tipps und Tricks hast du für “Noobs” in Crypto-Art?
Hier kann ich nur die allgemeinen Glückskekssprüche wiederholen, die jeder kennt, aber kaum jemand beachtet:
Überlege Dir was Du kannst, wofür du brennst und wofür du stehen willst.
Entwickle Deinen eigenen Stil und bleib Dir treu. Wenn Du von Anfang an gefeiert wirst, ist das ein gefährliches Anzeichen dafür, dass Du womöglich nur den Mainstream kopierst.
Hab Spaß und mache anderen Freude.
Möchtest sonst noch was anmerken?
Invest in Single Pixels today! ;)